Frühkindliche Bildung - des Klugen zu viel?

Bildung fürs Baby

Des Klugen zuviel?

Französisch mit drei, Ballett mit fünf, geistige Aufbauprogramme und Bewegungs-Tuning – kaum ein Angebot zur frühkindlichen Bildung von Kindern wird heute ausgelassen, um Babys die besten Startchancen zu sichern. Muss das eigentlich sein?

Eltern wollten das Beste für ihre Kinder. Man investiert in PEKiP-Kurse, KiTas (zweisprachig), Baby-Fitnesskurse (multimedial) oder Krabbelwiesen (kosmopolitisch). Und in bilingualen Kinderkrippen geht es früh zur Sache: Wer hier eincheckt, wird schon im Alter von acht Wochen zweisprachig angeredet – und zwar in Stereo. Die einen sprudeln französisch, die anderen reden deutsch. Naturwissenschaftliche Experimente, Literaturkurse und Signal-Babykurse sind nichts Außergewöhnliches und scheinen einer Art Förderitis-Wahn unter den Erziehenden zu entsprechen.

Chinesisch im Kindergarten

Die Programmhefte sind randvoll mit Angeboten wie Babyschwimmen, Relaxprogrammen und Chinesisch für Dreijährige. Es gibt KiTas, in denen Kinder Astronomie lernen können und welche mit Ballettsaal, Musikraum und Wellnessabteilung. Viele Eltern sind der Überzeugung, ihrem Kind damit einen ganz besonderen Bildungsvorsprung zu geben.

Wohlgemerkt handelt es sich hierbei um Angebote für gesunde und normal entwickelte Kinder. Im Unterschied dazu steht die Frühförderung, deren Maßnahmen sich an Kinder mit einer angeborenen oder entstehenden Behinderung richtet.

Oft beginnt der Pisa-Wettlauf schon sehr früh und mancher Vater bemüht sich noch im Kreißsaal um einen der begehrten Plätze im PEKiP-Kurs. Nicht ganz billig übrigens. Aber: Was tut man nicht alles für Babys Synapsen. Noch dazu sind solche Kurse eine ausführliche Gelegenheit zur Fremdbaby-Beobachtung zwecks Leistungsvergleich (Wer macht die schönsten Fortschritte im Jurastudium?) Und nicht selten gibt es am Ende eines Krabbeltages ausführliche Bewertungsbögen, in denen Eltern den Entwicklungsstand plus Sonderbegabung kontrollieren können.

Keine Schonfrist fürs Baby

Des Klugen zu viel? Noch  bevor das Kind eine Schule besucht, lassen Eltern ihm Nachhilfe angedeihen, investieren dabei nicht zu knapp und hoffen auf den heimlichen Wissens-Vorsprung, der ihren Kindern das entscheidende Mehr in der brutalen Pisa-Welt verschafft. Acht Wochen nach der Geburt ist die Schonfrist vorbei, das heißt: Bildung fürs Baby, Rückbildung für die Mutter, die Zeit bis zum Abitur ist knapp.

Aus Babys werden samt- und seidenweiche Teenies, die ihre Pubertät ganz ohne Akne meistern und wer weiß: Als Kinder betuchter Eltern werden sie die letzte Chance zum Abitur im teueren Privatgymnasium ergreifen. Die Förderitis der Eltern lässt das Unmögliche möglich werden.

Zu früh zu viel ist schädlich

Experten sehen das Phänomen mit Sorge. Die Leistungsgesellschaft fördert schon die Kleinsten und das meist in einem Alter, in dem sie noch spielen sollten. Wenn Eltern beinahe alles tun, um ihren garantiert hochbegabten Nachwuchs die besten Startchancen zu geben, so kann das sogar ins Gegenteil umschlagen. Zu früh zu viel kann die Lernbereitschaft von Kleinkindern sogar stark blockieren – so die aktuelle Studienlage.

Wer hat sie nicht schon erlebt: Die Reizüberflutung, die einen lähmt, wenn man am Buffet steht und vor lauter Angebot gar nicht mehr weiß, wohin man greifen soll – und letztlich hungrig nach Hause geht. Doch genau das passiert, wenn man die Babys mit Lernprogrammen und elektronischen Medien überflutet. Immer häufiger kommen überreizte Babys in Schreiambulanzen und sind nichts anderes als Opfer einer Art Eltern-Rallye, die das Kind zum Teil der Selbsterfüllung macht und Ausdruck des Leistungsprinzips ist –  auch wenn die Kursleiterinnen das Gegenteil behaupten und auf Schlagworte wie Synapsenvernetzung und Zeitfenster verweisen.

Die Natur gibt das Tempo selbst vor

Sicher, es gibt sehr gute Verhaltensangebote für Kleinkinder, die das Gehirn benötigt, um seine maximale Leistungskraft zu entfalten. Entscheidend ist jedoch, dass die meisten Kinder in ihrem eigenen Tempo lernen – und das gibt die Natur vor. Kinder haben es viele Jahrtausende ganz ohne Kurse bis zum Abitur geschafft und noch viel weiter. Eltern trauen ihren Kindern heute nicht mehr zu, Kompetenz aus sich selbst heraus zu entwickeln. Das jedoch ist eine ganz zentrale Haltung bei der Förderung von Kleinkindern.

Zurück zu den Wurzeln

Manchmal hilft viel auch wirklich viel.  Aber zu früh zu viel bringt nichts: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht  –  für diese Erkenntnis ist noch nicht einmal eine dreidimensionale Gehirnleistung nötig, die man sich in teueren PEKiP-Kursen erst mühsam aneignen müsste.

Am besten fördert man Babys, indem man sie ganz genau beobachtet: Die Kunst besteht darin, die Fragen des Babys zu erkennen, ganz intuitiv und mit dem Herzen. Die Bedürfnisse des Kindes zu erfühlen und zu erspüren. Das sind Fähigkeiten der Eltern, die mit dem wachsenden Mammut-Angebot an frühkindlicher Bildung verloren gegangen sind und mit teuren Kursen zurückgekauft werden.

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