Die allermeisten Bandscheibenvorfälle findet man an den Segmenten L4/5 und L5/S1, den unteren beiden Bandscheiben der Lendenwirbelsäule.

Rückenleiden

Wie ein Bandscheibenvorfall entsteht und wie man ihn therapieren kann

Wenn aus Rückenschmerzen ein Bandscheibenvorfall entsteht, ist für Betroffene guter Rat teuer. Dabei kann man oft schon im Vorfeld etwas tun. Warum die Bandscheiben degenerieren können und wie dem begegnen kann.

Etwa 80% der Deutschen klagen mindestens einmal im Leben über Rückenschmerzen, viele davon täglich. Das sind so viele Menschen, dass man sich fragen muss, ob Rückenschmerzen ein uns von der Natur auferlegtes Übel sind, mit dem wir leben müssen, ein Defekt in uns Menschen sozusagen. Wenn es um Bandscheibenprobleme geht, führt die untere Lendenwirbelsäule die Liste an Schmerzlokalität an. Die allermeisten Bandscheibenvorfälle findet man an den Segmenten L4/5 und L5/S1, den unteren beiden Bandscheiben der Lendenwirbelsäule. An der Halswirbelsäule sind es vor allem die Segmente C4/5, C5/6 und C6/7, die in der durchgeführten Diagnostik auffallen.

Hierzulande sind etwa 150/100.000 Menschen/Jahr von einem Bandscheibenvorfall betroffen, und von denen lassen sich etwa 60/100.000/Jahr operativ behandeln. Das ist im internationalen Vergleich relativ wenig. In den USA werden 450-900/100.000 Betroffene operiert. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen, der Altersschnitt liegt bei etwa 40-50.

Wie ein Bandscheibenvorfall entsteht

Um den Prozess eines Bandscheibenvorfalls, einer Vorwölbung oder einer Degeneration zu verstehen ist es wichtig, sich mit den anatomischen Grundlagen zu beschäftigen. Eine Bandscheibe hat einen Kern, der sich auf Latein „Nucleus pulposus“ nennt, ein gallertartiges Gewebe, welches für die Bewegung der Bandscheibe zwischen 2 Wirbeln und für die Pufferfunktion wichtig ist. Dieser Kern wird stabilisiert durch einen Bindegewebsring, der sich Annulus fibrosus nennt, stabilisiert. Beide Anteile der Bandscheibe werden nicht direkt durchblutet, sie erhalten ihre Nährstoffe über Diffusion durch Blutfiltration. Damit dieser Prozess optimal funktioniert und Bandscheiben gut ernährt, und damit lange gesund bleiben, ist Bewegung und Belastung notwendig.

Wenn der äußere Ring aber degeneriert ist und der Bandscheibenkern vorfällt kann er die dahinterliegende Nervenwurzel bedrücken und dementsprechend Symptome auslösen. Aus dem Spinalnerv, der paarweise vom Rückenmark entlassen wird, kommen die Wurzeln für motorische Fasern (für Bewegung), sensible Fasern (für Gefühl) und vegetative Fasern (für Stoffwechselbefehle). Je nachdem, welche Anteile der Nervenwurzel den Druck ausgesetzt sind, wird die Symptomatik von Lähmung/Muskelschwäche, Taubheitsgefühle/Kribbeln/Schmerz bis Schmerzlosigkeit reichen. Allerdings kann der periphere Stoffwechsel gemindert werden, wenn die vegetativen Fasern betroffen sind, was ohne Schmerz abläuft. Das bedeutet, wir spüren es zwar nicht, aber das Gewebe, welches der Nerv versorgt, bekommt weniger Signale und wird im Verlauf der nächsten Monate, Jahre oder Jahrzehnte degenerieren (beispielsweise Schultern oder Sprunggelenke).

Wenn der äußere Ring aber degeneriert ist und der Bandscheibenkern vorfällt kann er die dahinterliegende Nervenwurzel bedrücken und dementsprechend Symptome auslösen.

In Deutschland klagen ca. 27-40% der Bevölkerung über Rückenschmerzen, davon 4-6% über ziehende Schmerzen, die in das Bein ausstrahlen. Oftmals wird ein unspezifischer Rückenschmerz diagnostiziert, der keine offensichtliche Ursache zu haben scheint. Als Grund für Rückenschmerzen und Bandscheibenprobleme werden häufig folgende Gründe genannt:

  • Übergewicht
  • Mangelnde Bewegung
  • Rauchen
  • Statische Arbeiten/häufiges Drehen
  • Menschen, die mir ihrer Arbeit nicht zufrieden sind (2,5 Mal so häufig betroffen)
  • Erhöhte biomechanische Belastung
  • Hohlkreuz
  • „Alter“

Aber wenn nur eine Bandscheibe betroffen ist, ist doch das Alter nicht entscheidend. Sind die anderen Bandscheiben nicht gleich alt? Wenn man raucht, warum sollte eine Bandscheibe mehr darunter leiden als die anderen? Wenn man übergewichtig ist, ist dann nur eine Bandscheibe im Nachteil? Wenn ein Bewegungsmangel vorliegt, bewegt man nicht alle Bandscheiben zu wenig? Es muss andere Gründe dafür geben, warum gerade die EINE Bandscheibe degeneriert und nicht die oben drüber oder unten drunter.

Nährstoffmangel als Ursache degenerierter Bandscheiben

Wenn der äußere Bindegewebsring degeneriert, dann nur, wenn er zu wenig Nährstoffe bekommt, um seinen Stoffwechsel zu decken, und das über Jahre. Zu wenig Nährstoffe bedeutet, dass die Beweglichkeit dieses einen Segments gestört ist. Und segmentale Bewegungsstörungen sind häufig Folge einer Blockierung, und Blockierungen sind häufig Folge eines Unfalls oder von Fehlhaltungen, die man aufgrund der Arbeit oder eines Bewegungsmangels einnimmt. Vitamin-D-Mangel und Schlafmangel sind zusätzliche Faktoren, die dazu führen, dass Geweberegeneration im Allgemeinen nachlässt. Der Stoffwechsel kann durch die Diffusion von Nährstoffen nicht mehr gedeckt werden, das Gewebe wird schwächer. Irgendwann kommt es dann zu einer Symptomatik.

Segmentale Bewegungsstörungen sind häufig Folge einer Blockierung,
Die Wirbelsäule von vorne und von der Seite

Struktur und Funktion sind in diesem Zusammenhang von großer Relevanz. In jedem Lehrbuch lässt sich nachlesen, dass eine Wirbelsäule von vorne gesehen gerade, und von der Seite eine doppelte S-Kurvenform aufweisen sollte. Es gibt genormte Maße, die als physiologisch gelten. Die Struktur ist nicht nur deswegen wichtig, weil die Pufferfunktion der Bandscheiben besser funktioniert oder weil es besser aussieht. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Wirbelsäule unser zentrales Nervensystem enthält und mit ihm verbunden ist. Das wiederum bedeutet, dass jede Strukturabweichung auch eine Änderung der Funktion unseres Nervensystems mit sich bringen muss. Wie sieht also die Realität aus?

Halswirbelsäule von der Seite mit Degeneration Segment C5/6 und C6/7 und an L5/S1
Halswirbelsäule von der Seite mit Degeneration Segment C5/6 und C6/7 und an L5/S1

In der obigen Abbildung sieht man die Degeneration (Pfeil) an dem Segment C5/6 und C6/7. Die goldene Kurve stellt die physiologische Form der Halswirbelsäule dar. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Halswirbelsäule dieses Menschen um einiges nach vorne abweicht, was zu einer Streckung des Rückenmarks und damit einhergehend einer Spannung führt. An den degenerierten Segmenten sieht man, dass die Kurve umgekehrt zur Norm verläuft. Mit jeden 2,5cm, die der Kopf nach vorne gleitet, verdoppelt sich der Druck auf den Bandscheiben, insbesondere da, wo die Kurve sich umkehrt. Daher sind diese Segmente in ihrer Beweglichkeit am meisten eingeschränkt und werden dementsprechend am schlechtesten mit Nährstoffen versorgt.

Das zentrale Nervensystem wird den Nackenmuskeln befehlen, zu verspannen, um ein weiteres Vorgleiten des Kopfes, und damit einer zunehmenden Spannung der Nerven, zu verhindern. Die Verspannungen am Nacken sind also eine Schutzfunktion ihres Gehirns und haben eine Aufgabe, auch wenn sie nicht angenehm sind. An der Lendenwirbelsäule finden wir eine ähnliche Situation. Die normale Kurve ist verloren gegangen, die Lendenwirbelsäule ist fast gerade und wird Druck auf ihrer Basis aufbauen, dem Segment L5/S1 (Pfeil), welches am deutlichsten degeneriert ist.

Therapien für einen Bandscheibenvorfall

Die Standardtherapien in der Medizin sind:

  • Schmerzmittel
  • Physiotherapie
  • Fango/Massage
  • Ultraschall/Elektrotherapie
  • Spritzen
  • OPs

Wenn man berücksichtigt, dass eine mechanische Fehlstellung der Segmente vorliegt ist klar, dass keine der genannten Therapien ursächlich behandeln. Es wird versucht, die Symptomatik zu lindern. Schmerzmittel hemmen die Schmerzweiterleitung, ändern aber nichts an dem Problem. Fango und Massagen versuchen, die Muskeln zu entspannen, aber da die Muskeln verspannt sind, um die Segmente zu stabilisieren und eine Schutzfunktion darstellen, ist das auch nicht problemlösend, sogar kontraproduktiv, auch wenn Entspannung der Muskulatur zunächst angenehm ist. Operationen können helfen, Stabilität herzustellen, verbessern aber ebenfalls nicht die Biomechanik.

Beispiel einer „dorsoventralen Stabilisierung“
Beispiel einer „dorsoventralen Stabilisierung“

Die dorsoventrale Stabilisierung ist eine Möglichkeit, instabile Segmente operativ zu behandeln. Man sieht aber auch nach der Operation einen deutlichen Beckenschiefstand und eine Verdrehung der Lendenwirbel (Dornfortsätze sind nicht in der Mitte). Die Segmente über der Versteifung bilden Osteophyten aus, die ein Versuch des Körpers sind, selbst eine Stabilität herzustellen, da diese Segmente mehr arbeiten müssen, da nun 2 versteift sind und nicht mehr an Bewegung beteiligt sind. Das soll nicht heißen, dass Operationen nie richtig sind. Im Gegenteil. Es gibt Situationen, da sind sie unumgänglich, aber die Möglichkeiten, konservativ zu behandeln, werden nur selten vorher ausgeschöpft.

Nicht immer ist eine Operation nötig

Aber wie könnte eine ursachenbetonte Therapie und gleichzeitig eine Prophylaxe aussehen? Nun, eine Verbesserung der Biomechanik bringt eine verbesserte Nährstofflage der Bandscheiben mit sich, sodass sie stabiler werden und sich regenerieren können. Mittels chirotherapeutischen Behandlungen ist das, in biologischen Grenzen, möglich. Im folgenden Bild ist ein Röntgenbild eines Mannes mit tiefen Rückenschmerzen zu sehen. Es zeigt sich eine langgezogene Kurve an der Lendenwirbelsäule von 11°. Nach einer Behandlungsserie ist diese Kurve auf 2,1° reduziert, was mit einer Beschwerdefreiheit einherging. Diese Wirbelsäule wird deutlich weniger Probleme haben, ihre Bandscheiben zu bewegen und damit auch zu ernähren. Daher ist die Behandlung Therapie und Prophylaxe zugleich. Im Übrigen sind auch andere Bereiche der Wirbelsäule verbessert worden, da die Behandlung die gesamte Wirbelsäule und das Becken betrifft.

Diese Wirbelsäule wird deutlich weniger Probleme haben, ihre Bandscheiben zu bewegen und damit auch zu ernähren.

Das mag einem das Potenzial von natürlicher Heilung vor Augen führen. Das zentrale Nervensystem heilt Ihr Gewebe, wenn Sie es nur lassen.


Dr. med. Matthias Meier ist Orthopäde und Unfallchirurg mit Schwerpunkt Rehabilitation und Chirotherapie. Zuletzt war er Leitender Oberarzt Rehabilitationskliniken Ulm/Zentrum für Integrierte Rehabilitation (ZIR/RKU). 2019 hat der die Praxis impulse health management gegründet, die sich verschiedenen Formen der manuellen Medizin widmet. 2021 publizierte Meier im Journal Of Clinical Case Reports eine klinische Studie, die zeigt, dass das Wachstum von Bandscheibengewebe ohne den Einsatz von Medikamenten, Chirurgie oder Zelltransplantation möglich ist.

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