Aus Lauten werden Worte

Die Entdeckung der Sprache

Der Sprung Ihres Kindes ins Meer der Sprache läutet ein neues Zeitalter der Eltern-Kind-Kommunikation ein. Was geschieht da plötzlich mit dem kleinen Schreihals, der sich nun klar artikuliert zu Worte meldet?

Wo einst die Körpersprache, also Mimik, Gesten und scheinbar unartikulierte Laute noch Ventil für Babys Bedürfnisäußerungen waren, verschaffen sich nun erste Worte und Satzstrukturen Zugang zur Oberfläche. Alsbald zeichnet sich ein völlig neuer Horizont in der Eltern-Kind-Kommunikation ab.

Ihr Kind hat den Sprung gewagt, die Spitze des Spracholymps erklommen, und es ist nun bereit und voller Willen, sich mit Ihnen zu unterhalten, Ihnen seine innersten Wünsche und Dinge, die es schon lange störten, mitzuteilen.

Wer war zuerst da – Der Gedanke oder das Wort?

Wenn Eltern nun plötzlich von den sprachlichen Ergüssen ihres Kindes überschüttet werden und sich dabei Gedanken im Kindermund in Worte verwandeln, die man noch nie von seinem Kind vernommen hat, so fragt sich der eine oder andere schon mal, ob all das vorher bereits in dem kleinen Kopf lauerte oder sich gar erst mit der Eroberung des sprachlichen Territoriums neue, nie zuvor da gewesene Denkhorizonte auftun.

Brauchten diese das Wortkleid oder schlummerten sie bereits als vage Erkenntnis hinter den wachen und ausdrucksstarken Augen Ihres Kindes? Der Antwort auf diese Frage eifern seit jeher Sprachwissenschaftler und Psychologen nach. So vertreten einige die Ansicht, das Denken gehe der Sprache voraus (Piaget), wieder andere betrachten Denken und Sprechen als zwei parallele Prozesse (Wygotski).

Mit der Mündigkeit kam der Einspruch

Wenn jemand Einwände hat, so möge er jetzt sprechen! Das lässt sich der sprechdurstige Wirbelwind nicht zweimal sagen. Ihr kleiner Schreihals kann nun anstatt mit dem Fuß aufzustampfen, Worte wie „Nein, Mama!“ formulieren oder wird nun zunehmend versuchen, Konflikte mit Ihnen auszudiskutieren als Ihre Entscheidungen aufgrund mangelnder Ausdrucksfähigkeit einfach hinzunehmen.

War es vormals noch möglich, mit Hilfe eines klaren „Neins“ ohne Erklärungen im Schlepptau fast jede Situation für sich zu entscheiden – denn von Widerrede konnte damals ja eben noch nicht die Rede sein – so wird es nun zunehmend anspruchsvoller, Konflikte zu lösen. Das Erlangen der Sprechbefähigung bedeutet also auch einen Zuwachs an Durchsetzungsvermögen und Autorität auf Seiten des Kindes.

So ein eloquenter Drei-Käse-Hoch!

Das lexikalische Repertoire eines jeden Kindes, also sein Wortschatz, wird natürlich maßgeblich von der Umgebung seiner Eltern mitbestimmt. Sie sind es, die die sprachlichen Fundamente legen, auf die Ihr Kind dann sein Haus aus Wortsubstanz und Satzmaterial bauen wird. Nicht erst mit der lauten Artikulation, dem Endprodukt sozusagen, sondern bereits viel früher tritt die Sprachentwicklung bei Ihrem Kind ein.

Intensives Zuhören und Aufnehmen tragen zum passiven Sprachverständnis und zur Grundsteinlegung für die spätere aktive Entwicklung der Sprachbiographie Ihres Kindes bei. Klar ist, dass ebenso Einflüsse von außen, durch andere Kinder im Kindergarten oder auf dem Spielplatz, eine nicht weg zu denkende Rolle in der sprachlichen Entwicklung ihres Kindes spielen.

Seien Sie sich dennoch bewusst, dass Sie als primäre Bezugspersonen, sowieso andere Verwandte, die zur vertrauten Umgebung des Kindes gehören, der wesentliche Sprachkanal sind.
 
Mit der Entdeckung der Sprache bricht nun auch das Zeitalter der Fragen an, ganz nach dem Motto: Wer nicht fragt, lernt kein neues Wort! Es ist also demnach die Neugier, die ein starker Motor für das sprachliche Vorankommen von Kindern ist. Die Welt entdecken, indem man herausfindet, wie die Dinge benannt werden und sie im nächsten Zug beim eben gelernten Namen zu identifizieren – dieser Wissensdurst ist zündender Funke für das sich bald entfachende Sprachfeuer in jedem Kind.

Eigenes Entwicklungstempo

Unterschiede in der zeitlichen Ansiedlung des Sprechenlernens von Kind zu Kind sind vollkommen normal. Jedes Kind hat und bestimmt sein eigenes Entwicklungstempo.

Mädchen sind beim ersten Spracherwerb meist im Vorteil, können schneller einen aktiven Wortschatz aufbauen, längere Sätze bilden und haben allgemein weniger Probleme mit der Grammatik als ihre männlichen Altersgenossen. Dies sieht zunächst nach einem starken Ungleichgewicht aus, jedoch hält sich der Unterschied auch nicht sonderlich nachhaltig über die Einschulungsphase hinaus. Oftmals trifft sogar der Fall ein, dass Jungen die kleinen Sprachexpertinnen nicht nur im Niveau einholen, sondern gar noch übertreffen.

Die Begründung für diese Feststellung liegt im differierenden Aufbau des männlichen und weiblichen Gehirns, wobei die Fähigkeit, Worte zu erlernen, bei Jungs lediglich in der linken und bei Mädchen in beiden Gehirnhälften zugleich verankert ist.

Durch das Sprechen gefördert

Nicht nur verbessert die Sprechfähigkeit die Kommunikation zwischen Eltern und Kind, sondern sie gibt auch einen entscheidenden Impuls für das Sozialverhalten und die Integration des Kindes in seine Umwelt, wie dem Kindergarten oder dem Spielplatz.

Interaktion mit der Umwelt

Durch die Erweiterung des eigenen Kommunikationsrepertoires durch das Hinzukommen des Sprechens wird die Interaktion mit dem sozialen Umfeld erleichtert. Die Verständigung mit Spielkameraden, der Dialog mit der Erzieherin, all das regt den Austausch an und erleichtert die Reaktion aufeinander. Ebenso werden Denk- und Gedächtnisleistungen beim Sprechen und Worte Erfassen trainiert und erfahren einen Aufwind für die weitere Entwicklung.

Kinder können Alltagssituationen besser verstehen und einordnen durch die Benennung der einzelnen Handlungen, Gegenstände und Ereignisse. Durch vorhergehendes Ankündigen können Handlungen nun besser im Vorhinein mit der Umwelt koordiniert werden, anstatt sie einfach zu vollziehen und dann wieder Gefahr der Kritik und Zurechtweisung zu laufen.

Eltern als sprachliche Gehhilfe

Um aktiv an der Sprachförderung ihres heranwachsenden Talkmasters teilzuhaben, kommt es darauf an, sich besonders viel Zeit für Ihr Kind zu nehmen. Merken Kinder, die gerade im Begriff sind, einen komplexen Satz zu bilden, dass ihnen ihr Gegenüber mit Geduld und zuhört, so schöpfen sie Vertrauen und Selbstbewusstsein. Ebenso sollten Sie auf eine klare Aussprache und die richtige Benennung der Dinge achten, um das Kind nicht zu verwirren und ihm das Erlernen nicht unnötig zu erschweren.

Lassen Sie auch Worte ihre sprachlichen Begleiter bei alltäglichen Handlungen sein. So verknüpft das Kind Gesehenes mit Gehörtem und lernt noch besser, als wenn es Einzelworte vorgesagt bekommt.

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