Anonyme Kindesabgabe Ich bin am Leben. Doch wo komme ich her? Heidrun Berger Über tausend „anonyme Babys“ gab es in den vergangenen 15 Jahren in Deutschland. Sie wurden in eine Babyklappe gelegt oder im Krankenhaus anonym geboren. Die Befürworter der anonymen Kindesabgabe sagen: Sie rettet Leben. Die Gegner: Die Kinder erfahren nie, wer ihre Eltern sind. Vanessa hat eine Tochter zur Welt gebracht. Allein. Das war schwer und schmerzhaft. Schmerzhaft quält sie auch die Frage: Was mache ich mit dem Baby? Ich kann es nicht behalten. Die junge Frau möchte, dass ihr Baby lebt. Doch nicht mit ihr gemeinsam. Sie bringt das Kind zu einem Krankenhaus und legt es in die Babyklappe. „Maria“ hat sie auf einen Zettel geschrieben. Maria gleitet in ein warmes Bettchen. Sie schläft, hat nichts mitbekommen. Als sich die Klappe öffnete, wird ein Signal ausgelöst. Eine Schwester kommt, nimmt das Kind und Maria lebt ab jetzt das Leben eines Findelkindes. Mit einem Namen, aber ohne Herkunft. Sie kommt zu einer Pflegefamilie. Ihre Mutter meldet sich nicht und so wird das Mädchen zur Adoption frei gegeben. 16 Jahre später: Maria weiß, dass sie adoptiert wurde und möchte etwas über ihre leiblichen Eltern erfahren. Darüber, wer sie ist, woher sie kommt, aus welcher Familie sie stammt. Sie wird es nicht erfahren. Marias Mutter hat sich nie gemeldet, keine Daten hinterlassen. Nur den Zettel mit dem Namen. Anonyme Kindesabgabe führt zu nicht mehr änderbaren Tatsachen Das ist der größte Kritikpunkt der Gegner von Babyklappen und der anonymen Entbindung im Krankenhaus: Dem Recht des Kindes auf Leben wird entsprochen. Dem Recht auf Kenntnis um seine Herkunft nicht. Dr. Gabriele du Bois, Vorsitzende des Ethikausschusses des Deutschen Ärztinnenbundes, ist der Überzeugung, dass es für ein Adoptivkind enorm wichtig ist, seine leiblichen Eltern zu kennen. „Es gibt durch ein Verfassungsgerichtsurteil sogar einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ein Mensch seine genetische Abstammung kennen darf. Die Inanspruchnahme der anonymen Kindesabgabe führt zu nicht mehr änderbaren Tatsachen, nämlich dass ein Kind seine leiblichen Eltern nicht finden kann und umgekehrt auch Mütter und Väter ihre Kinder nicht mehr finden können.“ Ein weiterer Kritikpunkt der anonymen Angebote: Prostituierte, Drogenabhängige sowie sehr junge Mädchen, die mit den Angeboten erreicht werden sollen, nähmen diese nicht an, sondern setzten unerwünschte Kinder nach wie vor nach der Geburt aus oder töteten sie. Die Zahl der getöteten und ausgesetzten Neugeborenen sei seit Einführung der Babyklappen nicht zurückgegangen. Professor Anke Rohde, Leiterin der Gynäkologischen Psychosomatik am Bonner Universitätsklinikum: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Frauen, die die Schwangerschaft verdrängt, verleugnet oder bewusst verheimlicht haben, in der Geburtssituation solche Entscheidungen nicht treffen können.“ Diese Frauen wären aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihrer mangelnden Bewältigungsmechanismen nicht in der Lage, eine Klinik oder eine Babyklappe aufzusuchen. Nur jedes zweite ausgesetzte Baby überlebt Befürworter der anonymen Angebote halten dagegen, dass die Zahl ohne diese Angebote noch höher wäre. An die 50 Säuglinge werden jedes Jahr in Deutschland ausgesetzt – nur die Hälfte überlebt. Als Gefahr gelte laut Dr. Bois auch, dass die Anonymität einen Missbrauch von Babyklappen und anonymer Geburt erlaubt. „Wer kann überprüfen, ob ein Kind freiwillig in eine Babyklappe abgegeben wird oder ob eine Frau nicht von einem Partner, den Eltern oder gar einem Zuhälter gezwungen wird, ihr Kind anonym zu entbinden und es dann herzugeben?“ Die Betreiber der Babyklappen werden nicht gesetzlich kontrolliert. Sie müssen nichts dokumentieren, die Kindesabgaben werden nicht zentral erfasst. Wohin die Kinder vermittelt werden, ist oftmals nicht nachvollziehbar. Die Transparenz leidet zu Gunsten der Anonymität der Mütter. Dr. Bois vermutet sogar, dass die zum Teil privaten Initiativen Missbrauch mit der Anonymität betrieben: „Diese Kinder könnten schnell und unbürokratisch auf dem Adoptionsmarkt ,verkauft‘ werden.“ Babyklappen befinden sich in einer rechtlichen Grauzone, werden aber geduldet. Diese Punkte haben Babyklappen und anonyme Geburten immer wieder in die Kritik gebracht. Ein neues Gesetz sollte die anonymen Angebote überflüssig machen. Das hat nicht geklappt. Am 1. Mai 2014 trat zwar das „Gesetz zur vertraulichen Geburt“ in Kraft. Die Mütter können immer noch anonym bleiben – allerdings nur bis zum 16. Lebensjahr des Kindes. Dann hat das Kind die Chance, aus einem bis dahin verschlossenen Umschlag den Namen, das Geburtsdatum und ihre Anschrift erfahren. Die bisherigen anonymen Angebote blieben dennoch weiter bestehen – auf Druck der Babyklappenbetreiber. Vielleicht ein Glück für Babys wie Maria. Denn wozu ihre verzweifelte Mutter ansonsten imstande gewesen wäre, weiß niemand.