Pubertät

Eine persönliche Tour durch die vaterlose Gesellschaft

Erinnern Sie sich noch an Alexander Mitscherlich? In seiner vaterlosen Gesellschaft verändert sich die Vater-Sohn Beziehung aufgrund des Wandels in der Arbeitswelt. Ändert sich die Beziehung aufgrund von Pubertät, hilft nur tiefes Durchatmen.

In traditionellen Gesellschaften hängt viel von der Position des Vaters ab. Er vertritt die Ordnung, regelt die Verteilung von Gütern und ist Vorbild in der Arbeitswelt. Doch mit neuen Produktionsweisen und abstrakter Arbeit veränderte sich das Verhältnis zu den Söhnen. Die Söhne haben keinen direkten Einblick in die Arbeitswelt der Väter und werden mit Phantasien über diese alleingelassen.

Gleichzeitig wird durch die neue Form der Sozialorganisation, autoritäre Herrschaft durch Konkurrenz ersetzt. Damit verliert der Vater auch seine soziale Bedeutung als Träger der Macht. Der Übergang von der väterlichen Herrschaft zur verwalteten Großgesellschaft erzeugt einen neuen, orientierungslosen, sozial ortlosen Massenmenschen.

Merken Sie etwas? Es brodelt heftig zwischen Vater und Sohn. An dieser Stelle verlassen wir kurz den Herrn Mitscherlich und stellen uns folgende Situation vor.

Beleidigte Teenager

Früh morgens, die letzten warmen Tage im Jahr sind gerade um. Ich trinke einen Kaffee und im Radio läuft ein Liebeslied. Alles passiert in morgendlichen Zeitraffer. Bis ein Tschüss, bis später erschallt.
Aus einem, mir noch unbekannten Grund rufe ich nur HALT! Ist es Vorahnung? Oder Kontrollwahn? Ein Hang zu kurzen und präzisen Ansagen? Es ist einfach alles. 

An der Wohnungstür steht ein frisch herausgeputzter, überdeodorisierter Dreizehnjähriger mit seinem brandneuen BMX. Das BMX ist keine Woche alt und hat knapp 500 Euro gekostet. Er hat es sich selbst gekauft. Von seinem Ersparten! Wie er zu dem Geld gekommen ist, ist eine lange und nervenaufreibende Geschichte.

Es fing an mit der Frage, ob er sich von seinem Ersparten kaufen könne, was er wolle. Nachdem sämtliche Tierarten, Waffen und führerscheinpflichtige Fahrzeuge ausgeschlossen waren, wurde seinem Anliegen der elterliche Segen erteilt. 

Ein Fernseher ist das Objekt der Begierde. Spar mal schön. Leider werden, zu dem Zeitpunkt noch zwölfjährig, Jungs im strategischen Denken sehr unterschätzt. Er wolle keine Geschenke zum Geburtstag. Nur Geld war die Message. Alle haben sich dran gehalten und auch nicht. Von den Großeltern bis zur Tante gab es Geld, und weil sie Geldgeschenke unpassend finden, kamen auch noch normale Geschenke dazu. Alter Stratege!

Ab diesem Zeitpunkt häuften sich seine Besuche im benachbarten Elektronikmarkt, denn zum Ausgeben hatte er einiges. Die Bilddiagonale sollte mindestens 102 cm betragen! 102 cm Bilddiagonale im Kinderzimmer? Wollte er das Ding umkippen und darauf schlafen? Aber versprochen ist versprochen und kann nur durch strategisches Vorgehen gebrochen werden. Doch dazu sollte es nicht kommen.

Nachdem er erfahren hatte, dass zur Zeit niemand in HD sendet und nur die öffentlich rechtlichen Sender digital senden, entschied er sich für ein neues BMX. Keins für Kinder oder Ahnungslose. Ein Profiteil. Dafür legte er dann auch knappe 500 Euro hin. Ich gebe zu, dass ich etwas neidisch war. Vor Jahren. Vor vielen Jahren bin ich auch BMX gefahren. Heute würde ich auf dem Teil albern aussehen. 

Daher weiß ich auch, dass ein BMX in Deutschland als Sportgerät geführt wird und nicht für den Straßengebrauch gedacht ist. Und nachdem wir neulich mit den Rädern in eine Straßenkontrolle gekommen sind und uns ein Polizist darüber aufgeklärt hat, dass so ein BMX eigentlich ein Sportgerät sei, war es dem Pubertierenden auch klar.

Pubertät – Der tägliche Spagat

Damit beginnt der Spagat. Ich kann dem Jungen nicht verbieten auf der Straße zu fahren, aber ich kann ihn auch nicht dazu anstiften, falls die Polizei kommt, schnell vom BMX zu springen und zu sagen: Das ist BMX-schieben, um schließlich hinter der nächsten Hecke wieder drauf zu springen und sagen: Und das ist BMX-fahren. 

Das weiß der Kerl alles, also soll er auch mit dem Mountainbike zur Schule und das BMX nur in seiner Freizeit fahren. Aber ein pubertierender Dreizehnjähriger muss ja cool sein und mit dem BMX zur Schule fahren und das noch bei Regen mit einer weißen Jacke. Ich höre mich an wie meine Mutter.

Und genau hier fängt es dann an zu brodeln. Ich bin ein Spießer. Er die Kackbratze. Aber es gibt einen Konsens, der nur in frage gestellt werden kann durch ein besseres Argument. Diese gehen mir noch lange nicht aus. Die Hoheit über das Taschengeld auch nicht. Auf Mitscherlich komme ich noch zurück.

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